Mit dieser Erkenntnis war aber auch der Nimbus, der den jungen Maler in der Fremde umgab, für sie ge schwunden. Felix war ihrer Meinung nach ein Mensch, der ein wenig einträgliches Gewerbe betrieb. Ein Mann, der stets in allen sieben Himmeln schwebte und der keinen festen Boden unter sich hatte. Einer, dem man fort helfen mußte, wollte man ihn nicht zugrunde gehen lassen. Mit Adelens Art konnte sich Frau Therese Tiefen- brunner gar nicht zurecht sinden. Eine Frau
wie diese war ihr in, ihrer Praxis überhaupt noch nicht vorgekommen. Die Apothekerin gestand es sich schon nach kurzer Zeit ganz ehrlich ein, daß sie die junge Frau nicht leiden konnte. So ehrlich war sie. Und trotzdem versuchte sie es nach Kräften, gut mit ihr zu sein, ihr mit Rat und Tat zu helfen, wo sie nur konnte. Frau Therese war fest davon überzeugt, daß die schlechte Geschäftslage, in der sich Felix befand, zum großen Teil die Schuld seiner Frau sei. „Siehst, Adele...' meinte sie, als sie wieder einmal bei dem jungen
Paar zu Besuch weilte, „das tat' ich an deiner Stell' anders machen wie du. Ich muß schon sa gen, ganz anders.' Die junge, hochgewachsene, schlanke Frau sah ängstlich auf die Tanke, die in ihrer ganZen Breite in dem einzigen bequemen Lehnstuhl saß, den der bescheidene Haushalt aufzuweisen hatte. Frau Tiefenbrunner saß breitspurig vor Adele und hielt sich steif aufrecht. Dabei zog sie den ohnedies dicken Hals vollständig ein und schob die Achseln hoch. Sie dachte, daß sie in dieser Haltung besonders
imponierend aussehe. Ein feistes Doppelkinn bildete sich durch die zusammengezogenen Fettwülste des Halses. Die Lippen klemmte die Apothekerin fest gegeneinander und sah mit runden, vorwurfsvollen Augen auf die junge, blonde Frau. „Wie anders machen? Was meinst du eigentlich, Tan te?' frug Adele mit ihrer tiefen, weichen Altstimme, die so schmelzend klang wie Glockenkon aus edelstem Metall. ? öI