Donnerstag, den 3. Jänner 1924. ,Volksbote* Nr. L - Seite 8. Vas Kreuz am Wege. Line Geschichte von Karl Wolf. Cs war ein herrlicher, prächtiger Sammer- nachmittag, als ich auf einer meiner einsamen ^ Streifereien begriffen, den Weg von der > Schloßruine Hocheppan zu Tale stieg. - Mir war vor dem göttlichen Ausblicke, der sich dem trunkenen Auge bot, so lvunderbar mns Herz, daß ich am liebsten laut hinausge- jubelt hätte in Gottes herrliche Welt, wie die Vögelein ober mir in den Bäumen
. Da unten am Wege wußte ich ein Kreuz, ein starker Feigenbaum breitete, wie schützend seine Aeste darüber, da. wollte ich noch kurze Rast halten »md ein Diertelstündchen verträumen. Wie ziehen da immer gar wunderliche Ge schichten an der Seele vorüber, wenn ich so auf einem schönen Aussichtspunkte sitze und mein Auge über Berg und Tal schweifen lasse. Was mögen die Leute da unten in den Häusern und Häuschen alles erlebt haben, wieviel Leid, wieviel Freud. Wo mag das Glück eingezogen fein und wo krallt
mit ihrem Dettelkorb, dem hagern, run zeligen Gesichtchen mit den klugen grauen Augen und dem über und über geflickten, aber sonst reinlichen Anzuge oft noch vor Augen' steht. (Erst verflossenes Jahr im Spätherbst saß ich wieder einmal unter dem Kreuz«, die Welt lag in ihrer ganzen Farbenpracht zu meinen Füßen, da schlummerte das alte Mütterchen schon drüben auf dem sonnigen Fri«dhofe von St. Pauls.) .Mei', bei dem Kreuz,' hatte sie angefangen zu erzählen, „da sitz' i halt.so viel gern; wenn i auch alt und starr
. Die Leut' sein bing'storben wie die Fliegen im Herbst.' «I bin jeden Tag zu dem Kreuz herg'rennt. derzeit war's noch neu und fein schön gefär- belt, und Hab' g'schaut, ob zu Mittag Rauch aufsteigt aus »nserm Häusl.' „Und einmal ist's g'west, da ist kein Rauch kommen. Stundenlang l>ab' i g'wartet, in einem sott Hab' i 'betet: Lieb's, licb's Herr- gottl im Himmel, last den Kamin nur a bißl rauchen, daß i seh', meine Eltern leben noch. Und wie's fast dunkel worden ist, sein die Leut kommen und haben zwei
Truchen aus'm Haus tragen und da sein meine Eltern d'rein g'legen.' „Mir hat's kein Mensch g'sagt, aber i hab's g'wusti. i hab's g'fühlt. An einem Tag sein sie g'storben, an der schwarzen Krankheit. Und i Hab' dem Zug lang nachg'schaut. Zuerst sein die Leut' g'wesen wie Awergelen auf der wei- stcn Straß', dann wie Ameisen und endlich wie kleine schwarze Pünktlen, so da vom Berg aus zu schauen.' „Und gerad' so ist mir mein Herz Vorkom men. Zuerst hat's mir springen wollen im Leib. Und dann ist's