„Die despotischen Regierungen vernichten den Charakter des Volks, da sie es von den öffentlichen Geschäften entfernen und deren Verwaltung einer routinierten und intriganten Bureau- kratie anvertrauen." — Freiherr vom Stein schrieb diese Zeilen im Jahre 1796 in einem Brief an den preußischen Prinzen Louis Ferdinand, jenen Neffen Friedrichs des Großen, der seine Liebe zu Preußen in der Schlacht bei Saalfeld mit dem Helden tod bezahlte. Es war nach dem für Preußen schimpflichen Frie den von Basel
, den Stein als einen politischen Fehler der preu ßischen Diplomatie und einen Mangel an sittlicher Größe be- zeichnete. Die Zeit nach diesem Frieden bedeutete für Stein eine fast unerträgliche Ruhepause, in der kein Mensch in Preußen Zeit hatte oder Lust, sich mit Neuerungen, Reformen, irgend einem Fortschritt überhaupt zu befassen, in der planlos und träge herumgewirtschaftet wurde. Es gab dazumals einen ein zigen Menschen im Lande, an den er sich wenden konnte, der „eine mit Bildern großer Tätigkeit
angefüllte Einbildungs kraft, ein lebendiges und sich lebhaft äußerndes Gefühl von Größe" besaß. Das war Prinz Louis Ferdinand, und mit ihm trat der große Reformator Preußens zu dieser Zeit in einen lebhaften Briefwechsel, der ihn die Zeit der Untätigkeit leichter ertragen ließ. In diesem einen, schwerwiegenden Satz sind eigentlich die Ideen zusammengefaßt, die Stein sein ganzes Leben lang ge leitet und die letzten Endes zu der Reorganisation Preußens eführt hatten. Mit vorbildlicher, fast
übermenschlicher Energie at Stein diese Reorganisation eingeleitet, bearbeitet, vorwärts geführt; Ungnade, Verbannung, Aechtung, Vertreibung aus der Heimat — nichts konnte ihn davon allbringen, sein Werk zu vollenden, das endlich von Erfolg gekrönt war. zum Heil des Volkes und des Landes. Das Geschlecht der Reichsfreiherren vom Stein, eingesessen an der unteren Lahn, gehörte zu jenen Angehörigen des mittel rheinischen Kantons der Reichsritterschaft, die sich dem Kaiser unmittelbar verpflichtet fühlten
und die in ihm und nicht in der einzelnen territorialen Staatsgewalt den deutschen Staats gedanken verkörpert sahen. Karl vom und zum Stein wurde am 26. Oktober 1757 zu Nassau geboren und wuchs unter zehn Geschwistern heran. Er war kaum sechzehn Jahre alt. als er in Begleitung eines Hofmeisters auf die Universität nach Göttingen geschickt wurde, um dort Jurisprudenz zu studieren. Stein hatte keinen akademischen Grad erreicht, als er — Ostern 1777 — die Universität verließ, um sich in den praktischen Reichsdienst zu stellen. Zuerst