auch sehr bald, zu bewirken, daß Hedwig ihre alte Welt vergaß. Und so kam es, daß Hedwig Heider von Tag zu Tag froher wurde. Sie hatte ihr eigenes Zimmer, von dessen Fenster aus sie auf die belebte Straße hinab schauen konnte — und eine eigene, rei che Garderobe, aus der sie ganz selbstän dig wählen durfte. Und die schulfreien Tage verbrachte sie in dem herrlichen Hauspark zwischen Bäumen und Blu men. Immer weiter wich die Erinnerung an die Vergangenheit zurück. Kaum dachte Hedwig noch an die düstere
Ma lerwohnung, in der sie als Kind gespielt hatte; nur manchmal war es ihr, als träfe sie ein stiller, mahnender Blick aus den Augen ihrer toten Mutter. Dann ver stummte ihr silbernes lachen, und ihr schönes Gesicht wurde sinnend und ernst. Nach einem Jahr—am Vorabend ihres Geburtstages — wurde ihr eine ganz be sondere Frcudezuteil. In ihrem Zimmer stand ein schwarzfunkelnder Flügel. . Wohl erinnerte sie sich, daß der Wunsch, ein solches Instrument zu be sitzen, sich oft in ihrem Herzen geregt
Heider an jenen Mann erinnert wurde, der draußen im Ried in einer ganz fremden Welt lebte. Als Herbert Förster sie eines Tages zu einer Autofahrt ins Ried einlud, um den Onkel Friedrich zu besuchen, bereitete ihr diese Überraschung mehr Schrecken als Freude. „Du brauchst nicht zu erschrecken“, sagte Herbert vergnügt. „Bis zvtm Abend sind wir wieder daheim.“ Sie fuhren durch das altersgraue Stadttor hinaus in das weite Land. Fel der und Wiesen, Häuser und Dörfer zo gen an ihnen vorbei wie ein bunter
er, daß es doch nicht so war. * „Edward!“ Die gespenstische Stimme seiner Mut ter weckte ihn in jener Nacht aus einem gesunden Schlaf. Er sah sie in der Mitte seines Schlafzimmers stehn, eingehüllt in ihren grauen Flanellschlafrock. Ihr Haar hing in Locken, und,ihr Gesicht war in dem Mondlicht, das durch das weitgeöffnete Fenster fiel, ganz bleich. Halbbetäubt richtete er sich im Bett auf. „Was ist denn los, Mutter?“ Sie kam näher, setzte sich auf sein Bett, dann stand sie auf, schloß das Fen ster und setzte sich erschauernd
in den Lehnstuhl. „Das ist es ja, was ich nicht weiß“, sagte sie mit leiser, eindringlicher Stim me. „Ich kann nicht schlafen, weil ich an verschiedene Dinge denken muß.“ „Was für Dinge, Mutter?“ Instinktiv wußte er es. „Edward,, ich weiß, daß heute zwi schen dir und Margaret etwas vorgefal len ist“ „Wie kommst du darauf, Mutter?" „Du bist den ganzen Abend so sonder bar gewesen.“ , Ja? Er war bestürzt, denn er hatte sich in der Vorstellung gewiegt, er sei ganz unbefangen gewesen. „Sogar Louise hat es bemerkt