¬Die¬ Südtiroler Frage : Entstehung und Entwicklung eines europäischen Problems der Kriegs- und Nachkriegszeit
„ITALIEN STEHT AM BRENNER, UM VORWÄRTS ZU MARSCHIEREN' 353 hätten, so hätten sie Italiens Macht zur Verteidigung seiner Rechte und zur Geltendmachung seines Willens jenseits der Brücke unter dem Berg Isel ausgedehnt, die Abtei der Weißen Mönche von Wil- ten abgetan und mit Erobererschritt in Erfüllung der vom Geschick zugewiesenen Bestimmung die Vormauer Deutschlands, das Kar wendel, erstiegen. So hätte die diplomatische und nichtdiplomatische Italien feindlich gestimmte Welt das deutliche
Bewußtsein erlangt, daß das neue Italien, wenn seine Alpini am Fuße Wacht halten, die Brennergrenze mit seinem Blute behüten wird und daß es sie ver teidigen und sichern will, indem es seinen moralischen Einfluß über den ganzen Alpenkamm vom Reschen-Scheideck bis Wien er streckt, Die nationale Regierung hat unzweideutige Proben abgelegt, daß sie in dieser Richtung vorgehen will. Mussolini selbst hat erklärt, daß man diesbezüglich noch am Anfang stehe,' Es wurde dann weiter ausgeführt, daß der Vorstoß
des Duce in dieser Richtung vorläufig stecken geblieben sei, weil er noch nicht den nötigen Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden habe. Die Angriffe gegen Italien würden aber im Palazzo Chigi genau gebucht und die Ver antwortlichen jenseits des Brenner wüßten wohl, mit wem sie zu tun hätten. Als dann die Trauerkundgebung am 10. Oktober in Inns bruck doch stattfand, da unterzog dasselbe Blatt diese „viehisch ge walttätige Provokation' in echt faschistischer Sprache einer ent sprechenden Kritik
. „Vor dem Kriege war die Hauptstadt Tirols bekannt als Umschlagplatz des Mädchenhandels und als Entzün dungsherd verschiedener Epidemien. Nach dem Kriege war sie eine Art Zentrum der Ausstrahlungen englisch -französischer Intrigen gegen Italien, Im letzten Jahre aber ist sie ein reifes Geschwür ge worden — ein Geschwür, das Italien aufschneiden und heilen wird... Jetzt hat der Duce das Wort. In dieser Stunde, da die Regierung Wiedervergeltung übt und Genugtuung fordert, muß auch das Trienter Volk seine Stimme
erheben... Italien steht am Brenner, um vorwärts zu marschieren, um zu strafen und zu verteidigen. Mussolini selbst blies, wenn auch in weniger scharfen Tönen, in das gleiche Horn, und ein Angriff, den der Sozialdemokrat Ellen bogen Anfang Oktober im Österreichischen Nationalrat gegen das faschistische System in Südtirol richtete, bot ihm dazu Gelegenheit. Obschon die Wiener Regierung für die Äußerungen eines Abgeord- Herre, Südtirol 25